Neue kulinarische Publishing-Trends: Das flexible Rezept
Es gibt viele Möglichkeiten, Rezepte zu konzipieren. Bereits die Ansprache ist formbar: Wurde der Leser in vergangenen Zeiten mit Imperativ geführt, wird er heute bei der Zubereitung geradezu gecoacht. Aber auch der Weg zum Ergebnis ist gestaltbar. Der neueste Trend hier: das flexible Rezept.
Denn es gibt Frust in der Küche. Zuletzt wuchsen die Rezepte hinsichtlich des Aufwands für den Einkauf und die Zubereitung. Gründe hierfür sind, dass Raffinesse oder Fototauglichkeit ihren Preis haben. Außerdem sind die vegane und vegetarische Küche deutlich komplexer, als ein Steak in der Pfanne zu braten.
Mitunter ist es aber auch das Markenzeichen eines Autors, die Zutatenliste sorglos bis zum unteren Seitenrand wachsen zu lassen. Stichwort Yotam Ottolenghi. Folge für den Leser: Irgendwas fehlt immer. In Blei gegossene Rezepte und spontanes Alltagskochen passen meist nicht zusammen. Warum also nicht die Rezepte so formulieren, dass sie sich flexibel anpassen lassen?
Komponenten, Kombinationen & Blaupausen
Diesen Gedanken greifen einige Neuerscheinungen auf und versuchen sich an praktikablen Lösungen. Das erreichen sie, indem Zutaten austauschbar, Komponenten kombinierbar oder die Rezepte übertragbare Blaupausen sind. Ihr gemeinsames Ziel dabei ist, dass der Leser sie souverän nach Saison und Vorratslage anpassen kann.
Samin Nosrat zeigt, dass Kochen einfach darstellbar ist
Ein Wegbereiter für diese neue Perspektive könnte Salt, Fat, Acid, Heat: Mastering the Elements of Good Cooking von Samin Nosrat sein. Das jetzt schon legendäre Kochbuch wurde in viele Sprachen übersetzt und war Basis für eine Netflix-Serie. Es ist ein Lehrwerk, ohne als ein solches aufzutreten. Die Autorin erklärt darin, in welchem Spannungsfeld von Prinzipien, Methoden und Zutaten sich ein Gericht bewegt.
Zwar enthält das Kochbuch ausformulierte Rezepte, aber es schlüsselt vorweg die zentralen Komponenten eines Gerichts illustrativ auf, und zwar frappierend einfach. Das eröffnet eine neue Sicht aus der Metaebene auf die geschmackvolle Gestaltung von Gerichten. Der Leser erhält die Wahl, sie flexibel zu adaptieren. Er weiß ja jetzt, worauf es ankommt. Nie schien Kochen so einfach.
Kreativität gewinnt
Die Idee des flexiblen Rezepts ist nichts Neues. Es gibt Regale von Publikationen und Apps, die das Thema bespielen. Interessant ist daher, wie es den Neuerscheinungen gelingt, sie modern zu deklinieren.
Sie alle betonen dabei einen emotionalen Wert, der zurzeit an Gewicht zulegt – die Kreativität beim Kochen. Stand in der Vergangenheit das Glück durch Genuss oder zuletzt sogar Schönheit im Vordergrund, wird der Spaß am Kreieren wichtiger. Treiber hierfür ist sicherlich auch Instagram, das als Plattform auch daraus seine Dynamik zieht.
4 Bücher, die auf flexible Rezepte setzen:
Niki Segnit: Lateral Cooking (Deutsch: Intuitiv kochen, Berlin Verlag)
Klappentext (engl): Do you feel you that you follow recipes slavishly without understanding how they actually work? Would you like to feel freer to adapt, to experiment, to play with flavours?
Die Britin Niki Segnit veröffentlichte 2010 das Kochbuch Flavor Thesaurus, das wie eine Initialzündung wirkte für das Thema Aroma. Ihr neues Buch holt den Leser nun emotional am Herd ab, als er gerade überlegt, ob er ein Rezept abkürzen kann.
Stevan Paul: echt gut kochen – einfach kombinieren – unbegrenzte Möglichkeiten (Brandstätter Verlag)
Klappentext: Stevan Paul hat die klassische Rezept-Form neu gedacht: Die Rezepte lassen sich sowohl als Ganzes als auch in Teilen nachkochen und sogar neu kombinieren! Lernen Sie selbst kreativ zu werden!
Stevan Paul gehört zu den namhaftesten deutschen Kochbuchautoren mit viel Gespür, welche Geschichten Leser ansprechen. Der ausgebildete Koch setzt dieses Mal einen konzeptionellen Akzent.
Carla Lalli Music: Where Cooking Begins: Uncomplicated Recipes to Make You a Great Cook (Clarkson Potter)
Klappentext: Where Cooking Begins is also the first recent cookbook to connect the way we shop to the way we cook. Here, too, is her guide to the six essential cooking methods that will show you how to make everything without over-complicating anything—and every recipe includes suggestions for swaps and substitutions, so you’ll never feel stuck or stymied.
Carla Music ist Food Director bei dem US-amerikanischen Foodmagazin Bon Appetit. Mit ihrem Kochbuch schlägt sie den Bogen zwischen „freiem“ Kochen und Rezepten zum Abwandeln.
Odette Williams: Simple Cake (Ten Speed Press )
Klappentext: A nostalgic ode to the joy of homemade cake, beautifully photographed and with easy mix-and-match recipes for a sweet lift any day of the week. Everyone has a favorite style of cake, whether it’s citrusy and fresh or chocolatey and indulgent … With easy recipes and inventive decorating ideas, Williams gives you recipes for 10 base cakes, 15 toppings, and endless decorating ideas to yield a treat.
Die Designerin verbindet in ihrem Backbuch Kreativität und „Simplify your Life“, indem der Leser Mix&Match-mäßig sein Rezept selbst zusammen stellen kann.